
Wie unsere Persönlichkeit Entscheidungen und Veränderungen beeinflusst?
Früher war ich sehr schüchtern, heute habe ich gelernt, vor Publikum zu sprechen – auch wenn mir manchmal noch ein Kloß im Hals steckt.
Ich habe verstanden, wie wichtig es ist, mich zurückzunehmen und meinen Mitarbeitenden wirklich zuzuhören.
Wenn ein Projekt scheitert, reflektiere ich auch mein eigenes Handeln – früher suchte ich die Schuld meist bei anderen.
Gerade lerne ich, meine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen.
Wenn ich mich im Grübeln verliere und nicht ins Handeln komme, frage ich mich: Was nützt mir mein Denken, wenn es sich nicht lebendig anfühlt?
Mein Fokus liegt auf den Menschen, die sich mitten in einem Wandel befinden.
Ich habe viele Menschen in Phasen des Umbruchs, Abschieds, Neubeginns und in Übergangszeiten begleitet. Dabei steht für mich eine zentrale Frage im Vordergrund: Wie kann Veränderung so gestaltet werden, dass sie die Gesundheit langfristig nicht belastet oder sie sogar stärkt?
Warum Veränderung gar nicht so leicht ist
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Menschen unterschiedlich mit Veränderungen umgehen. Während einige sie als Herausforderung oder sogar als Abenteuer betrachten und aktiv nach neuen Erfahrungen suchen, fällt es anderen deutlich schwerer, sich anzupassen. Dennoch ist es für alle eine Anstrengung – eine Leistung, die das menschliche Gehirn Energie kostet. Veränderungen fordern uns auf, gewohnte Wege zu verlassen.
Die Psychologie beschäftigt sich intensiv mit der Frage, warum manche Menschen resilienter sind als andere. Verschiedene Konzepte befassen sich mit der Persönlichkeit und ihrer Einteilung in unterschiedliche Typen – eine Tradition, die bereits in der Antike begann. Damals ging man davon aus, dass die vorherrschenden Körpersäfte den Charakter bestimmten, und unterschied vier Persönlichkeitstypen: den Sanguiniker (Blut), den Phlegmatiker (Schleim), den Choleriker (gelber Galle) und den Melancholiker (schwarzer Galle).
Auch im 20. Jahrhundert versuchten Wissenschaftler, die Persönlichkeit systematisch zu erfassen und in Kategorien einzuteilen. Daraus entstand das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeitspsychologie (Big-Five-Modell), das die Merkmale Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus beschreibt.
Das Big-Five-Modell ist eines der bekanntesten und am weitesten verbreiteten Persönlichkeitsmodelle in der Psychologie. Die Grundlagen hierfür wurden maßgeblich von Oliver John von der University of California, Berkeley, und seinen Kolleginnen und Kollegen entwickelt. Es beschreibt die Persönlichkeit anhand von fünf Hauptdimensionen:
Offenheit: Kreativ, fantasievoll, offen für neue Ideen, wissbegierig,
Gewissenhaftigkeit: Organisiert, diszipliniert, zuverlässig, zielorientiert, verantwortungsbewusst
Extraversion: Gesellig, energiegeladen, gesprächig, durchsetzungsfähig, sucht Stimulation
Verträglichkeit: Mitfühlend, kooperativ, freundlich, altruistisch, harmoniebedürftig
Neurotizismus: Emotional instabil, ängstlich, stressanfällig, neigt zu Sorgen
Die Persönlichkeit – abgeleitet vom lateinischen persona (Maske, Rolle, Person; personare – hindurchtönen) – umfasst die Gesamtheit aller stabilen, individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten eines Menschen. Dazu gehören Eigenschaften wie Gelassenheit, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Leistungsmotivation oder Konservatismus.
Wenn man diese Definition betrachtet, wird schnell klar, dass Veränderung gar nicht so einfach ist – oder zumindest nicht in allen Bereichen. Die Forschung zeigt, dass Eigenschaften wie Extraversion, Geselligkeit und Offenheit ziemlich stabil über die Zeit sind. (Bedeutet das also, dass meine Sammlung von Aufgaben im guten Willen wohl für immer ein kreatives Chaos bleibt?). Aber bei der Gewissenhaftigkeit könnte es vielleicht eher klappen – da habe ich zumindest mehr Hoffnung auf Veränderung.
Macher oder Grübler? Warum manche handeln – und andere erst mal eine Pro-Contra-Liste schreiben?
Julius Kuhl unterscheidet zwischen lageorientierten und handlungsorientierten Typen. Julius Kuhl ist ein deutscher Psychologe, der vor allem für seine Arbeiten zur Persönlichkeitspsychologie, Selbstregulation und Motivationstheorie bekannt ist
Lageorientierte Personen zeichnen sich durch ihre Planungs- und Analysefähigkeiten aus. Sie erkennen Fehler schnell und denken analytisch, haben jedoch oft Schwierigkeiten, unwichtige Reize auszublenden. Zudem fällt es ihnen schwer, Zugang zu ihren eigenen Bedürfnissen zu finden, und sie zeigen tendenziell weniger Handlungsimpulse. Vermeidungsverhalten ist bei ihnen nicht selten.
Handlungsorientierte Personen hingegen haben ein gutes Gespür dafür, was ihnen guttut. Sie sind in der Lage, negative Emotionen effektiv zu regulieren und lassen sich weniger von den Meinungen anderer beeinflussen. Bei Fehlern neigen sie dazu, die Ursachen eher in äußeren Umständen oder bei anderen Menschen zu suchen. Sie vertrauen ihrer Intuition und delegieren Detailarbeit gerne an andere.
Resilient, überkontrolliert oder unterkontrolliert – Wo ordnest du dich ein?
Der Hirnforscher Gerald Roth zitiert in seinem Buch die Persönlichkeitspsychologen Jens Asendorpf und Franz Neyer, die drei Hauptpersönlichkeitstypen beschreiben:
1. Resiliente Persönlichkeit
Eigenschaften: Aufmerksam, tüchtig, geschickt, selbstbewusst, neugierig, engagiert
Verhalten unter Stress: Kann unreifes Verhalten zeigen
Stärken: Anpassungsfähig, selbstsicher, zielstrebig
Herausforderungen: Kann unter Druck emotional unausgereift reagieren
2. Überkontrollierte Persönlichkeit
Eigenschaften: Verträglich, rücksichtsvoll, hilfsbereit, gehorsam, vernünftig, selbstsicher
Verhalten unter Stress: Kann aggressiv werden oder andere provozieren
Stärken: Diszipliniert, verantwortungsbewusst, zuverlässig
Herausforderungen: Neigung zur Unterdrückung eigener Bedürfnisse, mögliche emotionale Blockaden
3. Unterkontrollierte Persönlichkeit
Eigenschaften: Lebhaft, impulsiv, unruhig, hält sich nicht an Regeln, schiebt Schuld auf andere
Verhalten unter Stress: Ängstlich, gibt bei Konflikten nach, grübelt stark
Stärken: Kreativ, spontan, offen für neue Erfahrungen
Herausforderungen: Schwierigkeiten mit Selbstregulation, geringere Frustrationstoleranz
Diese drei Persönlichkeitstypen zeigen, wie unterschiedlich Menschen auf Herausforderungen reagieren und welchen Einfluss Selbstkontrolle auf Verhalten, Emotionen und Stressbewältigung hat. Man hat unter Fachleuten festgestellt, dass beim Big-Five-Modell Merkmale fehlen, wie z. B. Impulsivität, Belastungstoleranz und psychologische Flexibilität.
Bewahren oder Wagen?
Man könnte annehmen, dass eine Führungskraft vor allem dynamische Eigenschaften besitzen sollte, um schnell zu handeln und Entscheidungen zu treffen. Ein nachdenklicher und ruhiger Mensch hingegen scheint besser für andere Positionen geeignet. Doch wie eintönig wäre es, wenn wir Menschen auf diese Weise in Schubladen stecken würden?
Viel wichtiger erscheint es mir, dass Mitarbeitende ihre individuellen Stärken entfalten und Arbeitsbereiche gestalten können, in denen ihre Fähigkeiten geschätzt werden.
Natürlich kann es herausfordernd sein, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der vor allem Fehler erkennt und Schwierigkeiten hat, ins Handeln zu kommen. Doch lohnt sich nicht gerade hier ein genauerer Blick? Wo könnte genau diese Fähigkeit einen wertvollen Beitrag leisten?

Viele Mitarbeitende geraten unter Stress, wenn sie das Gefühl haben, eine Rolle erfüllen zu müssen, die nicht ihrer Persönlichkeit entspricht. Neben hohen eigenen Ansprüchen spielt auch der soziale Druck eine entscheidende Rolle. Die Persönlichkeitspsychologie kann uns helfen, das Verhalten anderer besser zu verstehen – doch wir sollten darauf achten, nicht in eine Gleichmacherei zu verfallen. Vielmehr gilt es, die individuellen Nuancen zu erkennen, zu schätzen und gezielt zu fördern.
Manche von uns neigen dazu, das Bewahren zu schätzen, pflegen Rituale und legen großen Wert auf Treue und Bindung. Andere wiederum sehnen sich nach Mobilität, Aufbruch und Abenteuer. Beide Ausrichtungen haben ihre positiven wie auch ihre negativen Seiten, wenn sie zu stark ausgeprägt sind. Wird das Bedürfnis nach Bewahren in lähmende Stagnation umgemünzt oder verwandelt sich der Aufbruchgeist in ruhelose Flüchtigkeit?
Wir alle besitzen Flügel und Wurzeln – Sinnbilder für unsere Sehnsucht nach Weite und zugleich nach Tiefe. Eine anregende Frage in einem Mitarbeitergespräch könnte daher lauten: Was hält dich fest, und was bringt dich wieder in Bewegung? In welchen Bereichen möchtest du deine Kompetenzen weiter vertiefen?

Immer wieder erzählen Menschen, wie prägend eine Mentorin oder ein Mentor für sie war – jemand, der an sie geglaubt und sie wirklich gesehen hat. Genau hier beginnt Führung auf einer tieferen, menschlicheren Ebene. Es geht nicht um starre Kategorisierungen, sondern ums Sehen – und das erfordert echte Aufmerksamkeit und eine vertrauensvolle Beziehung.
Wenn beispielsweise ein Projekt startet, benötigt es einen Macher oder eine Macherin – einen selbstbewussten Menschen, der entschlossen voranschreitet. Gleichzeitig ist es essenziell, die nächsten Schritte sorgfältig zu planen und potenzielle Hürden zu berücksichtigen. Benötigt es doch einen Denker oder eine Denkerin? Doch auch hier gibt es keine Standardantwort oder ein klares Rezept.
Im Gesundheitscoaching geht es zunächst darum, die persönliche Landkarte eines Menschen zu betrachten: Welche Veränderungen sind präsent und warum? Welche prägenden Erfahrungen hat man gemacht? Wie ist in der Herkunftsfamilie mit Veränderungen umgegangen, und wie reagiert der Körper auf aktuelle Herausforderungen? Vielleicht lautet der Wunsch, sich weniger betroffen zu fühlen, wenn Unmut bei Mitarbeitenden auftritt, die eigene Balance im Veränderungsprozess zu finden oder auch andere Meinungen zu akzeptieren und gemeinsam Prozesse im Team zu gestalten.
Es ist nicht immer einfach: Einerseits trägt man als Führungskraft Verantwortung, andererseits ist man selbst Teil des Systems und keineswegs allmächtig, wenn es um die erfolgreiche Umsetzung von Veränderungen geht. Diese Vielschichtigkeit macht den Prozess jedoch auch lehrreich und eröffnet Raum für persönliche Entwicklung – sowohl für die Führungskräfte als auch für ihre Teams.
Veränderungen können schmerzhaft sein, unzumutbar erscheinen und uns herausfordern – sie fordern uns, beanspruchen unsere gesamte Energie und können uns etwas wegnehmen, was uns Sicherheit gibt. Gleichzeitig besitzen sie das Potenzial, zu befreien, zu lösen, zu verbessern und uns den Mut zu schenken, Neues zu wagen. Veränderungen berühren uns als ganze Menschen, und es tut oft gut, zu wissen, dass man damit nicht allein ist. Das finde ich jedenfalls.
Veränderung geschieht, wenn drei entscheidende Faktoren zusammenspielen:
Wir wollen uns verändern: Erst wenn wir erkennen, dass Veränderung sinnvoll oder notwendig ist – sei es durch Einsicht, Leidensdruck oder den Wunsch nach Entwicklung –, sind wir bereit, neue Wege zu gehen.
Wir glauben an unsere Fähigkeit zur Veränderung: Das Vertrauen in unsere eigenen Stärken und Potenziale, gestärkt durch kleine Erfolge, gibt uns die Kraft, wirklich etwas zu bewegen (Selbstwirksamkeit)
Wir leben die Veränderung: Neue Gewohnheiten werden Teil unseres Alltags, bis sie sich ganz selbstverständlich anfühlen (spart dem Gehirn Energie).
(vgl. Jule Specht, 2021)
Caspi und Moffitt formulieren in ihrer paradoxen Theorie der Persönlichkeitskohärenz drei wesentliche Voraussetzungen für eine Persönlichkeitsveränderung:
Eine neue Situation, die wir auch leiblich erfahren – wie beispielsweise ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Auslandsstudium. In solchen Erfahrungen lernen wir nicht nur durch theoretisches Wissen, sondern durch direktes Erleben und Beobachten im Alltag.
Die Abkehr von vorherigen Gewohnheiten – wir erkennen, dass bestimmte alte Muster nicht mehr zu uns passen und daher hinterfragt oder abgelegt werden müssen.
Ein klares Verständnis der Anforderungen – entweder weil diese klar kommuniziert werden oder weil wir selbst ein präzises Konzept entwickeln, was die neue Lebenssituation von uns fordert. In dieser Phase passen wir uns aktiv an.
Ein wichtiger Aspekt dieser Theorie, den ich besonders hervorheben möchte, ist die leibliche Erfahrung. Der Körper spielt eine zentrale Rolle. Mit all unseren körperlichen Erfahrungen und Sinnen – wir probieren aus, wir fühlen, wir sehen, wir tasten – nehmen wir die Welt und unsere Veränderungen wahr. Dieses „Körperwissen“ ist ein wesentlicher Teil unseres Anpassungsprozesses und der Persönlichkeitsentwicklung.
Das zeigt: Wenn wir uns bewusst mit unserem Leben auseinandersetzen, können wir Veränderungen nicht nur initiieren, sondern auch (erfolgreich) meistern. Und manchmal ist es völlig in Ordnung, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist – schließlich würden wir ohne unsere kleinen Eigenheiten und Macken doch fast schon langweilig wirken. Wie Specht betont, profitiert unsere Gesellschaft von dieser Vielfalt an Persönlichkeiten. Menschen in ihren jeweiligen Nischen ergänzen und bereichern sich gegenseitig (vgl. Jule Specht, 2021)
Übrigens, falls Sie sich erinnern – ich bin die mit dem Halskloß, von dem ich am Anfang des Artikels gesprochen habe. Als Kind und später als Berufsanfängerin hatte ich große Angst davor, vor Gruppen zu sprechen. Ein Praxislehrer sagte einmal zu mir: "Das ist wirklich wichtig, dass du das lernst, denn du musst deine Klienten und Klientinnen vertreten können." Das hat mich damals sehr verunsichert, aber er hatte natürlich recht. Er hat den Grund benannt, ich habe es verstanden und den Sinn erfasst. Ich habe gespürt, dass ich etwas ändern kann und mein Vermeidungsverhalten bewusst reduziert – es war ein breites Spektrum an Aspekten, die die Veränderung hervorriefen.
Mit viel Übung und positiven Rückmeldungen hat sich das über die Jahre verändert. Den Halskloß spüre ich heute kaum noch – okay, räusper, räusper, wenn ich ehrlich bin, doch immer mal wieder. Aber das ist in Ordnung. Wir sind schließlich keine Maschinen, und ein gewisses Maß an Unsicherheit hält uns wachsam. Außerdem hat es mich gelehrt, ruhige oder schüchterne Menschen nicht zu übersehen.
Wo hast du dich verändert, warum und was hat es bewirkt?
Was fandest du hundsgemein (wir nähern uns den Gefühlen im Teil 3)?
Was fandest du ungerecht?
Welche Veränderungen haben deine Leidenschaften beflügelt?
Was tat einfach nur weh?
Was würde passieren, wenn alles beim Alten bleibt?
Herzliche Grüsse,
Daniela Britzelmayr
Für die Schüchternen...
Wo Vergänglichkeit ist...
Quellen:
Specht, Jule (2021). Charakterfrage. Hamburg: Rowohlt, S. 227
Specht, Jule (2021). Charakterfrage. Hamburg: Rowohlt, S. 230
Gerhard Roth, Warum ist es so schwierig ist, sich und andere zu ändern, 2019, Klett.Cotta
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