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Warum Schmerz wichtig ist – eine Einladung zum Hinschauen

Stark, leicht, kaum auszuhalten

quälend, langwierig, pochend, zermürbend

heftig, intensiv, ziehend, plötzlich, stechend,

schneidend, bohrend, scharf, spitz.

Schmerz ist unbequem. Er bringt uns aus dem Gleichgewicht, lässt uns weinen, wütend sein oder verstummen. Und doch gehört er zu uns unausweichlich, tief, manchmal unerträglich. In unserer modernen Gesellschaft, in der Effizienz, Funktionalität und positives Denken oft im Mittelpunkt stehen, scheint Schmerz keinen Platz zu haben. Er wird weggedrückt, betäubt, übergangen. Aber was, wenn genau darin seine Bedeutung liegt? Was, wenn Schmerz nicht unser Feind, sondern unser Verbündeter ist? Oder zu einem Lebensbegleiter wird, mit dem wir lernen müssen, umzugehen?

Der kluge Schutzmechanismus des Körpers

Es gibt verschiedene Arten von Schmerzen: akute, plötzliche Schmerzen, die uns warnen – etwa wenn wir uns verbrennen oder umknicken. Und dann gibt es chronische Schmerzen, die uns über Monate oder Jahre hinweg begleiten, ohne klare Ursache oder Lösung.

Akuter Schmerz schützt uns. Er ist das Alarmsystem unseres Körpers. Wenn wir uns schneiden, verbrennen oder verstauchen, ist Schmerz die Sprache unseres Nervensystems: „Achtung! Gefahr! Tu etwas!“ Er bringt uns dazu, das Feuer zu meiden, das verletzte Bein nicht zu belasten, eine Wunde zu versorgen. Du berührst versehentlich eine heiße Tasse Tee. Sofort registrieren spezialisierte Nervenzellen in deiner Haut, sogenannte Nozizeptoren, die extreme Temperatur. Diese Reize werden in elektrische Signale umgewandelt und über Nervenbahnen zum Rückenmark und von dort weiter ins Gehirn gesendet.

Was für ein Wunderwerk, wenn man darüber nachdenkt. Unser Körper spricht – wir müssen nur lernen, ihm zuzuhören.

Besonders deutlich wird das, wenn man sich Menschen vorstellt, die keinen Schmerz empfinden können. Ein pakistanischer Junge, der an dieser seltenen Krankheit litt, konnte sich ohne jede Warnung schwere Verletzungen zufügen – weil sein Körper keine Signale sandte. Er starb mit 14 Jahren an den Folgen eines riskanten Sprungs.

Image by Teslariu Mihai

Was hilft bei Muskelverspannungen?

  • Wärme: Wärmepflaster, warmes Bad, Infrarotlicht

  • Moderate Bewegung: sanftes Dehnen, Spaziergänge, Yoga

  • Gefühle und Bedürfnisse erkennen: emotionale Spannungen bewusst wahrnehmen und ausdrücken

  • Magnesium: zur Unterstützung der Muskelentspannung

  • Massage: klassische Massage, Faszienrolle, Osteopathie usw.

  • Haltung verbessern: ergonomischer Arbeitsplatz, regelmäßig aufstehen

  • Stress abbauen: Atemübungen, Entspannungstechniken, Umgang mit inneren Antreibern

  • Kurzfristig Schmerzmittel: bei Bedarf und in ärztlicher Rücksprache

  • Physiotherapie: bei anhaltenden oder starken Beschwerden

  • ...

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Wenn Schmerz nicht mehr geht: Das stille Leid der Chronik

Chronische Schmerzen sind anders. Sie sind oft diffus, anhaltend, fordern Geduld und zehren an der Seele. Rund 15 Millionen Menschen in Deutschland leben mit chronischen Schmerzen. In der Schweiz leiden etwa 1,5 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen – das entspricht ungefähr jedem Sechsten der Bevölkerung (ca. 16 %). Schmerzen, die nicht mehr heilen wollen. Schmerzen, die den Alltag mitbestimmen, den Schlaf rauben, Beziehungen belasten.

Sie treten in vielen Formen auf: Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Nervenschmerzen, Schmerzen nach Operationen oder als Folge von Tumorerkrankungen. Und nicht selten bleibt die Ursache im Dunkeln. Wer mit chronischem Schmerz lebt, kennt oft den endlosen Weg von Arzt zu Arzt, von Diagnose zu Diagnose – immer auf der Suche nach Linderung, Verständnis, einem Lichtblick.

Was diesen Schmerz so schwer macht, ist nicht nur das körperliche Empfinden. Es ist auch die psychische Belastung. Schmerz verändert unser Denken, unser Fühlen, unsere Hoffnung. Und er ist oft eng verwoben mit Depressionen, Ängsten oder sozialem Rückzug. Menschen, die an Depressionen leiden, sind oft auch von physischen Beschwerden wie Rücken- oder Kopfschmerzen betroffen. Ebenso kann bei Personen mit chronischen Schmerzen häufig eine Begleiterscheinung in Form von Depressionen auftreten. Hierbei entsteht eine komplexe Wechselwirkung, bei der beide Zustände sich gegenseitig verstärken und beeinflussen können.

Manchmal ist es nicht der Schmerz allein, der am schwersten wiegt – sondern das Gefühl, damit allein zu sein.

Schmerz verändert das Nervensystem

Wiederholte oder anhaltende Schmerzen hinterlassen Spuren im Nervensystem. Durch sogenannte neuronale Plastizität verändern sich die Verschaltungen der Nervenzellen: Das Gehirn und Rückenmark passen sich wiederholten Schmerzreizen an, wodurch die Reizverarbeitung empfindlicher wird. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom Schmerzgedächtnis - einer Art „Erinnerung“ an frühere Schmerzen. Diese gespeicherten Muster können dazu führen, dass Schmerz verstärkt wahrgenommen oder sogar ohne aktuellen Auslöser erlebt wird. Schmerz wird so zu einem eigenständigen Zustand, der sich von seiner ursprünglichen Ursache ablösen kann.

Körper, Geist und Seele – Schmerz als Ganzheit

Schmerz ist nicht nur physisch. Auch seelisches Leid – etwa Liebeskummer, Verlust oder soziale Ablehnung – kann tief ins Mark treffen. Und es bleibt nicht bloß ein vages Gefühl: Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass emotionale Verletzungen ähnliche Hirnregionen aktivieren wie körperliche – insbesondere den anterioren cingulären Cortex und die Insula. Es gibt also keinen klaren Schnitt zwischen Körper und Seele. Wer zurückgewiesen wird, spürt das nicht nur innerlich – der Schmerz wird real empfunden. Ablehnung kann sich anfühlen wie ein unsichtbarer Schlag. Verlassene tragen Wunden, die niemand sieht, die aber dennoch schmerzen.

Ein besonders eindrückliches Beispiel ist der Liebeskummer. Nach einer Trennung gerät das innere Gleichgewicht ins Wanken – nicht nur psychisch, sondern auch auf hormoneller Ebene. Dopamin und Noradrenalin sinken, während Stresshormone wie Cortisol steigen. Herzrasen, Schlaflosigkeit, Appetitverlust, Antriebslosigkeit oder Angstzustände sind typische Begleiter. Der Körper reagiert, als stünde er unter akuter Bedrohung.

So wird auch verständlich, warum soziale Ausgrenzung sich mitunter ebenso heftig anfühlt wie physische Gewalt. Wer dauerhaft gemobbt wird, lebt in einem Zustand innerer Erschütterung – als würde man täglich verletzt, ohne dass es sichtbare Spuren gibt.

Diese Erkenntnisse verdeutlichen, wie eng unsere emotionale Welt mit körperlichen Reaktionen verknüpft ist. Deshalb sprechen Fachleute heute auch nicht mehr von einem einzelnen „Schmerzzentrum“, sondern von einem bio-psycho-sozialen Schmerzverständnis: Schmerz entsteht im Zusammenspiel von Körper, Psyche und sozialem Umfeld – und wird von jedem Menschen auf ganz eigene Weise erlebt.

Image by Frankie Cordoba

Die kreative Kraft des Schmerzes

Künstlerinnen und Künstler haben seit jeher Schmerz in ihren Werken verarbeitet. Frida Kahlo malte ihre körperlichen und seelischen Wunden in leuchtenden Farben, als ob sie sagen wollte: „Seht her, das bin ich – mit allem, was ich trage.“ 

Edvard Munch gilt als einer der bedeutendsten Künstler, der Schmerz in seinen Werken eindrucksvoll verarbeitet hat. Sein berühmtes Gemälde „Der Schrei“ ist ein ikonisches Symbol für Angst, Verzweiflung und inneren Schmerz. Munch hat nicht nur psychische Qualen, sondern auch körperliches Leiden und existenzielle Ängste in seinen Bildern festgehalten.

 

Gabriele von Arnim beschreibt in ihrem Buch „Der Trost der Schönheit“ den Weltschmerz, die Ängste um unsere Welt, die Sprache der Ohnmacht – und dennoch den Versuch, Schönheit zu pflanzen. Inmitten von Angst, Wut und Entfremdung. „Sie wartete, bis sich der Sturm in ihrem Inneren legte. Als es so weit war, pflanzte sie an den verwundeten Stellen Sonnenblumen.“ – Deborah Levy

 

Ein Satz, der Hoffnung sät. Denn vielleicht ist es genau das, was wir brauchen: Den Mut, trotz allem noch Sonnenblumen zu pflanzen. Was uns Schmerz lehren kann Schmerz will gehört werden. Er zeigt uns unsere Grenzen, unsere Verletzlichkeit – aber auch unsere Wandlungsfähigkeit. Er lädt uns ein, nach innen zu schauen. Uns zu fragen: Was darf heilen? Wo ist es Zeit, innezuhalten? Was will ich nicht mehr übergehen? Wo brauche ich Unterstützung? Nicht jeder Schmerz ist „gut“. Aber jeder Schmerz spricht. 

Wir alle kennen Schmerz. Aber wir können zu einem gewissen mass wählen, was wir aus ihm machen.
Wir können ihn zum Feind/in machen – oder zum Lehrmeister/in
Zum Hindernis – oder zur Brücke.
Zum Grund für Rückzug – oder für Verbindung. Hier benötigt es aber auch Unterstützung von aussen, Krankheit in der Gesellschaft nicht ausgrenzen, für gute Arbeitsbedingungen sorgen, die präventiv sogar wirken.

Fazit zum Schluss:

Schmerz muss nicht romantisiert werden – dafür ist er oft zu schmerzhaft, zu real. Doch er kann ein Anlass sein, innezuhalten, das eigene Leben zu reflektieren und die eigenen Prioritäten neu zu ordnen. Dieser Prozess ist jedoch kein rein individueller Weg. Er erfordert nicht nur persönliche Kraft, sondern auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Heilung ermöglichen: Raum für Rückzug, Anerkennung von Krankheit – körperlich wie seelisch – und ein unterstützendes Umfeld, das nicht ausgrenzt, sondern mitträgt:

Gute Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheit, Zugang zu medizinischer und psychologischer Versorgung sowie präventive Maßnahmen sind zentrale Voraussetzungen, damit Menschen nicht zusätzlich belastet oder ausgegrenzt werden. Schmerz betrifft uns alle – individuell wie kollektiv.

  • Schmerz ist ein Warnsignal
    Er schützt uns vor Gefahren und macht deutlich, wenn etwas im Körper oder in unserem Leben aus dem Gleichgewicht geraten ist.

  • Chronischer Schmerz verändert das Gehirn
    Langanhaltender Schmerz kann bestimmte Hirnregionen sensibler machen. Der Schmerz wird dadurch verstärkt und kann sich verselbständigen – auch ohne akuten Reiz.

  • Sozialer Schmerz ist im Gehirn nachweisbar
    Verlust, Ablehnung oder Einsamkeit aktivieren dieselben Hirnareale wie körperlicher Schmerz. Seelischer Schmerz ist nicht eingebildet, sondern messbar.

  • Schmerz hat oft biologische, psychologische und soziale Ursachen
    Er entsteht durch ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Deshalb braucht es auch eine ganzheitliche Sichtweise in Behandlung, Prävention und gesellschaftlichem Umgang.

Quelle: 

Diese Befunde sichern die Annahme, dass sozialer Schmerz – wie Ablehnung oder Ausgrenzung – im Gehirn ähnliche Regionen aktiviert wie körperlicher Schmerz

www.science.org

​Apkarian AV, Baliki MN, Geha PY. "Towards a theory of chronic pain." Progress in Neurobiology, 2009. PubMed

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